
Viktor Kassai in seinem ersten großen ÖFB-Interview
"98 Prozent reichen nicht", sagt der neue Technical Director

Seit Juli ist der ehemalige Spitzen-Schiedsrichter Viktor Kassai als Technical Director für die Elite-Referees zuständig. In seinem ersten großen Interview in der aktuellen Ausgabe des ÖFB CORNER gibt er Einblick in seine Sichtweise auf das Schiedsrichterwesen.
ÖFB CORNER: Herr Kassai, hatten Sie einen guten Start?
Viktor Kassai: Die ersten Wochen im neuen Job sind immer herausfordernd. Man muss das neue Unternehmen, die Menschen und Mechanismen kennenlernen. Erst dann kannst du anfangen, Dinge zu verändern. Ich habe eine Philosophie im Kopf, wie wir uns schrittweise verbessern.
Nämlich?
Wir im Management arbeiten für die Schiedsrichter, nicht umgekehrt. Zusammen mit Ali Hofmann (Leiter Referee Department; Anm.) wollen wir Dienstleister für die Schiedsrichter sein.
Bei Ihrer Vorstellung sagten Sie, Sie seien der Teamchef der Schiedsrichter.
Meine Aufgabe ist es zu analysieren, Ratschläge und Tipps zu geben. Das Schiedsrichterwesen besteht aus vielen Teilbereichen, und ich bin nicht Experte für alle Themen. Meine Expertise ist die Fachkenntnis. Es braucht ein Experten-Team, um bestmöglich zu helfen.
Also wie in einem Trainerteam.
Genau. Meine Aufgabe ist es, dieses Team zusammenzustellen.
Die Kritik war zuletzt groß. Wo setzen Sie den Verbesserungshebel an?
Es existiert kein Land, in dem alle zufrieden mit den Schiedsrichtern sind. Das ist kein rein österreichisches Phänomen. Vielleicht hat eine einheitliche Linie gefehlt. Es ist, wie wenn du Pferde hast. Wenn du keine klare Richtung vorgibst, laufen sie überall hin. Das Regelwerk bietet, beispielsweise bei der Handspielregel, Interpretationsspielraum. Schiedsrichter brauchen klare Instruktionen. 98 Prozent reichen nicht.
Wo steht man aktuell?
Immer bei 99 (lacht). Es wird nie der Tag kommen, an dem wir sagen, dass wir am Ziel sind. Ein Projekt kann enden, aber wir haben viele Projekte.
Also viel Arbeit.
Als Schiedsrichter bekommst du nach einem schlechten Spiel sofort eine neue Chance. Umgekehrt können wir nach einer fehlerfreien Runde aber nicht genießen und auf Urlaub fahren, weil das nächste Spiel schon wartet.
György Ring hat Sie zum ÖFB begleitet. Kümmert er sich als VAR-Manager um den aktuell wichtigsten Bereich?
Ja, weil der VAR etwas komplett Neues ist. Die Erwartungen waren von Beginn an unheimlich hoch. Als würdest du einem Kind ein Fahrrad geben und verlangen, dass es sofort fahren kann. Der VAR kostet viel Geld, darum ist der Druck sehr hoch. Wir arbeiten laufend daran, die Prozesse zu verbessern. Ich vertraue György zu einhundert Prozent.
Wie verbessert man den VAR?
Alle Spiele werden jetzt von einem VAR-Instructor beobachtet, der sofort Feedback gibt. Nur so kann an Defiziten gearbeitet werden. In der Vorbereitung haben wir einen UEFA-Experten eingeladen und Simulator-Schulungen abgehalten. Es ist nicht einfach, aber wir müssen die Schiedsrichter besser unterstützen.
Champions-League-Finale, Olympia-Finale, drei Europameisterschaften und ein WM-Semifinale – haben Sie eigentlich ein Highlight Ihrer aktiven Karriere?
Ich kann nicht ein Highlight herausnehmen, durfte viele gute Erfahrungen machen. Man sagt ja, einen Titel einmal gewinnen, ist leicht. Jedes Jahr um den Titel mitspielen, ist Qualität. Ich war 13 Jahre Champions-League-Schiedsrichter, darauf bin ich stolz. Natürlich hatte ich auch schlechte Spiele. Auch Messi oder Ronaldo können nicht ohne Niederlage Fußball spielen.
Gab es Spieler oder Trainer, die besonders schwierig waren?
Als Schiedsrichter bist du Diplomat, darum nenne ich keine Namen. Aber ja, da gab es einige (lacht). In Ungarn gab es einen sehr routinierten serbischen Spieler, der mit allen Tricks gearbeitet hat. Wir hatten einige Konflikte, aber nach der Karriere haben wir darüber gelacht. Im Fußball gibt es keine Feinde.
Das wirkt oft anders.
Es gibt einen Interessenskonflikt. Klubs wollen um jeden Preis gewinnen, Schiedsrichter wollen korrekt und neutral sein. Wichtig ist, dass man sich nach dem Spiel in die Augen sehen und die Hand geben kann.
Helfen Ihnen die aktiven Erfahrungen jetzt?
Absolut. Ich glaube nicht, dass jemand Technical Director sein könnte, der nie selbst Referee war. Du brauchst Fachwissen, und natürlich wirst du schneller akzeptiert, wenn du selbst etwas vorzuweisen hast.
Wieso wurden Sie eigentlich Schiedsrichter?
Mein Vater war Schiedsrichter und ist immer mit ganz vielen positiven Emotionen zurückgekommen. Manchmal durfte ich mit, dann war immer eine Cola im Kühlschrank der Schiedsrichterkabine. Mit 15 Jahren habe ich meine Karriere begonnen und bekam gleich gutes Feedback. Jetzt bin ich nach 33 Jahren immer noch hier.
Welche Ziele setzen Sie sich als Technical Director?
Wir müssen wieder ÖFB-Schiedsrichter zu Großevents und in die Champions League bekommen. Eine Saison wie die letzte darf sich nicht wiederholen. Allen Schiedsrichtern muss unsere Linie künftig bewusst sein, trotzdem müssen sie sich wertgeschätzt fühlen. Und wir brauchen Schiedsrichter-Nachwuchs. Sonst haben wir in ein paar Jahren in der Bundesliga ein Problem.